10 Jahre LeTRa

(Dieser Text erschien zunächst im PrideGuide des Münchner CSDs 2006)

Lesbische Vielfalt

Die Party ist für dieses Jahr noch lange nicht vorbei. Als an einem sonnigen Tag im Mai die drei hauptamtlichen Mitarbeiterinnen der Lesben- beratungsstelle LeTRa Ulrike Mößbauer, 42, Diana Horn, 31, und Rita Braaz, 44, in ihren Arbeitsräumen in der Angertorstraße zum Gespräch bitten, wirkt das Trio ein bisschen müde – aber glücklich. Am Tag zuvor wurde ausgiebig ein Jubiläum gefeiert: das Zehnjährige von LeTRa mit Sekt- empfang, Reden und Büffet – eben alles, was zu einer gebührenden Feier dazu gehört.

Zahlreiche opulent-bunte Blumensträuße dokumentieren die Fülle der Gratulantinnen und Gratulanten. Sogar die Bürgermeisterin Christine Strobel hat es sich nicht nehmen lassen, der Lesbenberatungsstelle persönlich ihre Aufwartung zu machen und deren Einsatz zu würdigen. „Ganz lässig in Motorradlederjacke“, wie Diana Horn grinsend anmerkt. Die LeTRa-Frauen hingegen hatten sich aus gegebenem historisch-feierlichen Anlass für schicke Anzüge und hochhackige Schuhe entschieden. Lesbische Vielfalt geht einher mit Stilvielfalt, sei es in Haaresdingen oder Kleiderfragen. Alles ist möglich.

Die nächsten zwei Stunden sind eine spannende und subjektive Zeitreise, in der es um die Geschichte und Gegenwart der Lesbenberatungsstelle dieser Stadt geht. Und das Erfreuliche daran: Es treten gleich mehrere (Erfolgs-) Geschichten zutage: die der lesbischen Frauen, die der lesbisch-schwulen Community, die der Solidarität und die der Selbstbehauptung. Dass die Geschichte der Lesbenberatungsstelle sehr bewegt und stellenweise steinig war, und deren Ausgang völlig offen, daran wird von Ulrike Mößbauer, Diana Horn und Rita Braaz auch in noch anhaltender Feierlaune erinnert. Und daran, dass dieser Erfolg an einem seidenen Faden hing und der Hartnäckigkeit und Ausdauer einer Handvoll Frauen zu verdanken ist. Und dass sich in manchen Momenten glückliche günstige politische Konstellationen am Horizont auftun. Aber der Reihe nach. Streng genommen ist es nicht nur ein zehnjähriges, sondern ein zwanzigjähriges Jubiläum. Denn bereits 1986 wurde der Grundstock für das heutige LeTRa gelegt, als engagierte Münchner Lesben den Verein Lesbentelefon gründeten. Aus dem Lesbentelefon ging dann LIB (das Kürzel für Lesben, Information, Beratung) hervor: Unter bescheidenen finanziellen und räumlichen Rahmenbedingungen – die Beratungsstelle war in einem Hinterhof-Büro in der Dreimühlenstraße untergebracht – wurde Telefonberatung und Veranstaltungen durch zwei Sozialpädagoginnen angeboten. Als die spärlichen finanziellen Mittel der rot-grünen Stadtregierung für eine vernünftige professionelle Arbeit nicht mehr ausreichend waren, warfen die beiden festangestellten Mitarbeiterinnen Ende 1995 das Handtuch. Eine Handvoll Lesben bemühte sich, den Verein als Anlaufstelle für lesbische Frauen mit Telefonberatung, Infoabenden und Veranstaltungen ehrenamtlich am Leben zu halten und damit ein politisch wichtiges Signal zu setzen – damals schon dabei: Diana Horn, seit zweieinhalb Jahren als eine von zwei Sozialpädagoginnen bei LeTRa tätig.

Mitte 1996 kam schließlich die Geburtsstunde von LeTRa, was kein Zufall war: Das im selben Jahr gewählte rot-grün-rosa Regierungsbündnis, das erstmals der schwul-lesbischen WählerIn- neninitiative Rosa Liste ein Stadtratsmandat und Regierungsbeteiligung bescherte, machte städtische Lesbenföderung zum wichtigen Tagesordnungspunkt. Ab sofort wurden Belange von lesbischen Münchnerinnen (und schwulen Münchnern) ernst genommen und die schwul-lesbische Szene hatte in Form ihres gewählten Stadtratvertreters Thomas Niederbühl ein wichtiges Wörtchen in Haushaltsdingen mitzureden.

Der professionelle Betrieb von LeTRa wurde zunächst mit einer halben Beratungsstelle für eine Sozialpädagogin aufgenommen. Anfang 1997 kam bereits Ulrike Mößbauer die zweite, heute noch bei LeTRa tätige Sozialpädagogin dazu. Das Angebot der Lesbenberatungsstelle konnte mit psychosozialer telefonischer und persönlicher Einzel- und Paarberatung, Coming- out-Gruppen und monatlichen Veranstaltungen wieder professionalisiert und sogar ausgebaut werden. Anfang 1999 wurde eine dritte Stelle für Öffentlichkeitsarbeit geschaffen, die seit zwei-einhalb Jahren Rita Braaz inne hat. Den vielleicht wichtigsten – und sichtbarsten – Etappenerfolg konnte LeTRa 2000 verbuchen: Den Umzug mitten ins schwul-lesbische Viertel in die Angertorstraße unweit des Sendlinger Tors – und nur einen Steinwurf entfernt von den Kollegen und Kolleginnen des schwulen Zentrums Sub und heute auch der Koordinierungsstelle für gleich- geschlechtliche Lebensweisen. Die hellen und freundlichen LeTRa-Räume umfassen heute auf rund 100 Quadratmetern einen von draußen ein- sehbaren Veranstaltungsraum mit Bibliothek und Videothek und im hinteren Teil zwei Beratungszimmer, ein Büro und eine Teeküche. Was so unspektakulär wirkt, ist ein Politikum: Hinter der großen Fensterfassade des schmucken Altbaus verbirgt sich bayernweit die einzige städtisch geförderte professionelle Lesbenberatungsstelle. Glücklich können sich die Lesben schätzen, die in München leben.

Neben den drei Hauptamtlerinnen leiten ein dreiköpfiger Vorstand sowie sieben ehrenamtliche Mitfrauen die Geschicke des Vereins – unterstützt von 90 Mitfrauen. Im monatlichen Plenum werden Strukturen und Inhalte regelmäßig hierarchiefrei erarbeitet und diskutiert. LeTRa richtet sein Angebot an 50.000 lesbische Frauen in München sowie deren Angehörige und versteht sich als Beratungsstelle, Treffpunkt und Veranstaltungsort zugleich. Die Liste der Aktivitäten ist lang: Neben professioneller psychosozialer persönlicher, telefonischer und E-Mail-Beratung für einzelne Lesben und Paare gibt es Coming-out-Gruppen sowie Treffen von lesbischen Müttern, Lesben ab 50, jungen Lesben, lesbischen Migrantinnen und Eltern von lesbischen und schwulen Kindern. In weiteren offenen Angeboten können sich Lesben informieren und Kontakte knüpfen.

Wie sieht das LeTRa-Trio die Anfänge der Beratungstätigkeit und die Entwicklung bis hin zur Gegenwart? „Vor zehn Jahren war der Coming-out-Aspekt zentral. Das hat sich komplett verändert“, stellt Ulrike Mößbauer fest. Heutzutage seien die Themen von lesbischen Frauen vielfältiger, erklärt Rita Braaz. Wichtig sei es, diese Vielfalt wahrzunehmen und die vielfältigen Lebensrealitäten innerhalb der eigenen vermeintlich homogenen Gruppe zu begreifen: „Es gibt die lesbische Metzgerin genauso wie die lesbische Lehrerin, Transfrauen und Trans- männer, es gibt lesbische Migrantinnen wie auch die lesbische Unternehmerin und die erwerbslose Lesbe.“ Aber insgesamt ist doch sicherlich das Coming-out dank Lebenspartnerschaftsgesetz, Christopher-Street-Day und Vorzeige- Lesbe, Tatortkommissarin Ulrike Folkerts, viel leichter geworden? Diana Horn verneint das entschieden: „Das Coming-out ist gleich problematisch und krisenhaft wie vor zehn Jahren. Es ist für die Betroffene immer noch bei Familie und am Arbeits- platz ein schwieriger, mitunter schmerzvoller Prozess.“ Von wegen schöne neue Lesbenwelt.

Gibt es so etwas wie ein typisches LeTRa- Klientel? „Die Bandbreite ist groß“, berichtet Diana Horn, „von der Arbeiterin bis zur Akademikerin, meist im Alter von 30 bis 50 Jahren.“ „In den unterschiedlichen Themen spiegeln sich die vielfältigen Lebensrealitäten“, erläutert Rita Braaz: „Einige Lesben benötigen eher kurze Informationen und Beratungen zu Themen wie Absicherung der Partnerschaft, Fragen zur Szene oder nach Treffpunkten. Andere Klientin- nen brauchen längerfristige Unterstützung und Krisenintervention etwa im Coming-out, in Beziehungs- oder Trennungskrisen oder in der Verarbeitung von Diskriminierungserfahrungen und lesbenfeindlicher Gewalt.“

Zwei Stunden Gespräch mit den LeTRa-Frauen dokumentieren den Erfolg, die Vielfältigkeit und die Nowendigkeit ihrer Arbeit. Die LeTRa- Mitarbeiterinnen und die Vereinsfrauen haben allen Grund, stolz auf ihre zehnjährige Geschichte zurückzublicken. Aber auf ihren Lorbeeren ausruhen können und wollen sie sich nicht. So laufen die Vorbereitungen für zwei weitere Megaereignisse schon längst auf Hochtouren: Am 5. August steht eine Premiere ins (oder genauer: vor's) Haus: LeTRa feiert ab 14 Uhr das erste lesbische Angertorstraßenfest und lädt dazu „viele, viele Lesben und Schwule, Trans- gender und Bisexuelle, Migranten und Migrantinnen, NachbarInnen, Freunde und Freundinnen ein“. Und eine Woche später demonstriert LeTRa lautstark und fantasievoll als Mitveranstalterin des Christopher-Street-Day, dass 50.000 Münchner Lesben bei potenziellen Sorgen und Nöten – oder einfach nur, um Infomationen zu bekommen und um Spaß zu haben – getrost auf LeTRa zählen können: Denn LeTRa ist für dich/uns da. Ganz im Sinne des Christopher- Street-Day-Mottos. Da darf die Party ruhig mal länger dauern und die LeTRa-Mitarbeiterinnen am nächsten Tag ein bisschen müde zu Arbeit kommen.

Marion Hölczl

 

(Dieser Text erschien zunächst im PrideGuide des Münchner CSDs 2006)